2012
by Brita Sachs
Jenseits üblicher Modefotografie: Cathleen Naundorf setzt in der Galerie Bernheimer in München ihre Modelle als wolkige Träume in Tüll dem nagenden Zerfall der Zeit aus.
Von Brita Sachs
Unsere Vorfahren schlenkerten mit langen Armen und zeigten einen krummen Rücken, ihre dicken Schädel trugen schwer an mächtigen Unterkiefern. Aber sukzessive schaffte es Homo dann auf zwei gerade Beine; im Hinterkopf gab es nun Platz für mehr Gehirn, die Rippen rückten schlank zusammen, und das Knochengestell bot die physischen Grundlagen für Geschöpfe, die, wenn sie Glück haben, so geraten wie auf Cathleen Naundorfs Fotografie “The Evolution of Fashion“: Eine Frau im atemraubenden Abendkleid von Dior, aufgenommen im Pariser Naturhistorischen Museum vor Vitrinen voller Knochengeschichte. Oder besser: inszeniert, denn jedem Kleidungsstück, auf das die W^hl der Fotografin fällt, schafft sie spektakuläre Auftritte.
Blütengleich streckt dieses Dior-Kleid den bildschönen Kopf über perfekten nackten Schultern und Armen aus einer Seidenrobe, in der normal geratene Exemplare der Spezies Mensch Luftnot bekämen und Probleme mit dem Laufen noch dazu. Cathleen Naundorfs Serie „Un rêve de mode“ entspricht nicht der üblichen Modefotografie.
In der Münchner Galerie Bernheimer Fine Art Photography, die sie in Deutschland exklusiv vertritt, zeigt Naundorf Aufnahmen von Haute-Couture-Kreationen führender Pariser Modeschöpfer. Dior, Chanel, Lacroix, Valentino, Gautier, Elie Saab und Hut-Createur Philip Treacy gewähren dieser Künstlerin mit feinem Einfühlungsvermögen ins edle Kunstwerk Kleid nur allzu gern Zutritt in ihre Sammlungen und Archive. Man lässt sie Kleider ihrer VV^hl entführen, damit sie diese an den Leibern rehschlanker Modelle, die man noch nicht von Modestrecken der großen Magazine kennt, an besonderen Orten in Szene setze. In der Großküche des Hotels Plaza Athénée zum Beispiel, berühmt für sein ausgezeichnetes Restaurant, schmeißt das Fotomodell ebenso gnadenlos einen Krebs in den Kochtopf, wie es achtlos die weiche Schleppe seiner teuren Robe auf dem Küchenboden schleifen lässt. Gut möglich, dass die Fotografin dabei an Peter Greenaways makabre Küchenszenen in „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ dachte, wie überhaupt Film und Bühne in ihren Bildern zu gastieren scheinen. Der schwarze Krähenvogel jedenfalls, der im Grand Palais auf der Hand einer Dame in Elie Saab landet, ruft unweigerlich Hitch- cock auf den Plan.
In den überquellenden Depots des ältesten, 1862 gegründeten Pariser Ateliers für Stuckzier und Gipsabgüsse aller Arten, erkannte Naundorf ein apart bröselndes weißes Refugium für Dior-Schöpfungen hellwolkiger Träume in Tüll imd plissierte Riesenkragen von Renaissance-Ausmaß, die John Galliano als fächerartige Gesichtsrahmung einsetzte. Der nagende Zerfall des Ambientes setzt sich an der Bildoberfläche fort: Es sieht aus wie Schäden durch Alter, so, als habe jemand die Bilder falsch gelagert, in heißem Licht oder Nässe. Tatsächlich aber erzielt Cathleen Naundorf den morbiden Reiz von Flecken, Ausbrüchen und ausgeblichener Farbigkeit, durch ihr Rüstzeug: Sie kombiniert eine analoge Großbildkamera mit Polaroid Filmmaterial, manipuliert dieses während des Entwicklungsprozesses, naturgemäß ohne digitale Tricks. Ihr Unikat- status eint Polaroid und Haute-Couture-Gewand. Aber der Fotomarkt verlangt nach Editionen, und Naundorf produziert ihre Auflagen, meistens in zehn Exemplaren, als Farbdrucke vom Originalpolaroid. Von den schwarzweißen Polaroids dagegen existieren Negative, die sie als Silbergelatine- Handabzüge vergrößert.
Cathleen Naundorf wurde 1968 in Weißenfeld an der Saale geboren – im selben kleinen Ort also, wo der große Modefotograf Horst P. Horst zur Welt kam. Als die beiden sich Anfang der Neunziger Jahre kennenlernten, wurde der alte Meister ihr Mentor, ihr Vorbild. Sein berühmtestes Motiv, die im Rücken geschnürte weiße Corsage, „Mainbocher Corset“ von 1939, zitiert die Jüngere mit Jean Paul Gautiers dunkel glänzendem Schnürleibchen. Und sie setzt ihm auch 2008 ein Denkmal: „Hommage an Horst“ zeigt eine Beauté im Chanel-Kleid im selben Sessel in Coco Chanels einstiger Wohnung an der Rue Cambon, wo Horst P. Horst die Modediva einst porträtierte.
Zur Mode kam Cathleen Naundorf über Umwege. Mit ihrer Familie verließ sie im Jahr 1985 die DDR. Neben Fotografie studierte sie an der Münchner Fachoberschule für Gestaltung auch Malerei und Grafik. Das mag die malerischen Effekte erklären, die ihre Farbaufnahmen manchmal übersteigerten Manierismen aussetzt. Naundorf machte sich zunächst als Reise-Fotojournalistin einen Namen, mit Dokumentationen abgelegener Regionen und Ethnien in Brasilien und der Mongolei; die Wüste Gobi und Sibirien lagen gleichfalls auf ihren Routen, weitab der Fashion-Glamourwelt. Nach Stationen in New York und Singapur lebt sie heute in der Modekapitale Paris, wo sie vor fünfzehn Jahren auf den großen Defilees zu fotografieren beginnt.
Als freie Serie entsteht „Un rêve de mode“ nicht zur Umsatzförderung von Luxusmarken, sondern als künstlerische Reaktion auf Mode. Manchmal wagt sie dabei den Schulterschluss mit einem Mann der Kunstgeschichte, dann wagt sich im Musée Rodin eine Nymphe in besticktem Seidentaft nah zur Marmorgruppe „Der Kuss“ und hält ihren kostbaren Mantel als wolle sie dem nackten Paar Schutz stiften. Bernheimer Fine Art Photography zeigt in München rund vierzig Aufnahmen, die meisten werden zum ersten Mal ausgestellt. (Color-Prints von Polaroids kosten von 3.900 bis 12.400 Euro, Silbergelatine-Handabzüge von 4.100 bis 13.300 Euro.)
Cathleen Naundorf. Bernheimer Fine Art Photography, München. Bis 4. August Der im Prestel Verlag erschienene Band „Haute Couture – The Polaroids of Cathleen Naundorf” kostet in der Ausstellung, von der Künstlerin signiert, 70 Euro, im Buchhandel 49,95 Euro.
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